Anne Dahm-Puchalla      


Start aktuell vita echo links kontakt kunsttherapie impressum Galerie
Galerie


Anne Dahm-Puchalla     


Rede von Dr. Till Busse

 zur Eröffnung der Ausstellung "vanitas vanitatum - Alles ist eitel"

 am 18.11.2012 in St. Theodor, Köln:


 Das ist die Welt:

 Sie steigt und fällt

 Und rollt beständig,

 Sie klingt wie Glas

 Wie bald bricht das!

 Ist hohl inwendig.


 In Goethes Versen aus dem Faust I scheint eine uralte Thematik auf, die auch den Titel unserer heutigen Ausstellung prägt. Alles ist eitel, die Welt verändert sich und dreht sich in einem ständigen Prozess des Sterbens und Geborenwerdens. Die Eitelkeit weltlichen Besitzes, den man letztendlich doch wieder abgeben muss, die Vergeblichkeit menschlichen Ehrgeizes oder menschlicher Beziehungen, denen das Wort Abschied schon im ersten ausgetauschten Blick ansieht, Vanitas ist ein Thema menschlichen Nachdenkens, das geradezu die Voraussetzung des Religiösen ist.


 Das Wort Vanitas entstammt dem lateinischen und bedeutet eigentlich Leere. Es wurde in der Regel verwendet, um auf diese Bedeutungslosigkeit des Lebens und die Vergänglichkeit irdischer Belange anzuspielen, es ist eine der melancholischen Sinnfragen an sich und impliziert eine negative Antwort. Der Mensch ist ein leeres Gefäß, ein zerbrechliches zudem, das anders angefüllt werden muss als mit materiellem.


 Der Begriff des Gefäßes als Metapher für menschliche Körperlichkeit erscheint in einer großen Zahl religiöser Texte quer durch die Weltreligionen. So schreibt schon Paulus im zweiten Korintherbrief:

 Durch uns hindurch sollen alle Menschen Gottes Herrlichkeit erkennen, die in Jesus Christus sichtbar wird. Diesen kostbaren Schatz tragen wir allerdings in irdenen Gefäßen. Denn so wird jeder erkennen, dass die außerordentliche Kraft, die in uns wirkt, von Gott kommt und nicht von uns selbst. Denn obwohl uns die Schwierigkeiten von allen Seiten bedrängen, lassen wir uns nicht von ihnen überwältigen.

 Auf einem der Werke Anne Dahm-Puchallas erscheint dagegen ein Ausspruch Laotses, der sich ebenfalls mit dem Begriff des Gefäßes auseinandersetzt:

 Ton knetend formt man Gefäße, doch erst ihr Hohlraum, das Nichts, ermöglicht die Füllung. Das sichtbare, das Seiende, gibt dem Werk die Form. Das Unsichtbare, das Nichts, gibt ihm Wesen und Sinn.


 Hier zeigt sich ein fundamentaler Unterschied zwischen Orient und Okzident, zwischen Christentum und ostasiatischem Denken. Während Paulus den Menschen als – wenn auch zerbrechliches - Gefäß für eine göttliche Kraft ansieht, ist für Laotse gerade die Leere ein positiv besetzter Begriff, ein Gedanke der sich auch im Denken des Zen-Buddhismus wiederfindet. Leere bedeutet hier in erster Linie die Abwesenheit von Leiden. Man muss vor der Leere keine Angst haben und tatsächlich ist dieser fernöstliche Gedanke auch in der Poesie der Europäischen Moderne zu finden, er ist das was der Romanist Hugo Friedrich als leere Transzendenz bezeichnet hat. Gott ist eine Leerstelle, die wir als Menschen der Moderne oft nicht wissen können. Der Mensch selbst allerdings kann auch, wenn man dem lateinischen Dichter Terenz Glauben schenken kann, ebenso recht leer sein, denn laut Terenz ist der „Mensch (...) eine Luftblase“, d. h. er ist ebenso fragil und vergänglich. Ähnlich liest man im Satyrikon des Petronius „Weh, o weh! Als aufgeblasene Schläuche gehen wir umher. [...] Wir sind nicht mehr wert als Luftblasen“. Die Erkenntnis "Homo bulla" - der Mensch ist wie eine Seifenblase - erscheint in vielfach abgewandelter Form in sogenannten Vanitas - Stillleben. In Stillleben tauchen in gleicher Bedeutung oft auch Glas- und Kristallkugeln auf und damit sind wir wieder bei Goethe steigender, fallender, gläserner Welt.

 Auf einem Kupferstich des barocken Künstlers Hendrick Goltzius findet sich folgender Vers von Franco van Est:

 "Die frische Blume, leuchtend im Frühling und duftend, verwelkt plötzlich und die Schönheit vergeht schnell. So vergeht auch das Leben der eben Geborenen und entflieht gleich einer Seifenblase aus leerem Dunst."


 Estius gibt damit eines der entscheidenden Motti für die Stillebenmalerei der kommenden Jahrhunderte vor. Sind Stillleben in der Kunst der Barockzeit oft Machtdemonstration und Entfaltung von Abundantia, Vorführungen von Kunstfertigkeit und Illusionismus, von überquellendem Reichtum, so fehlt doch meist nicht die leicht angefaulte Frucht oder die über das Gemälde krabbelnde Fruchtfliege. Gerade das 17. Jahrhundert, geprägt durch wüste Kriege, äußersten Hunger und grausame Armut in Mitteleuropa, bringt geradezu eine Kunst des schlechten Gewissens hervor, in den am Rande der Konflikte liegenden Niederlanden, einer einsamen Insel des Reichtums.


 Im Gegensatz hierzu stehen spanische Stillebenmaler wie Francisco Zurbarán, der tatsächlich nur leere Gefäße malte. Zurbaráns Ästhetik taucht dreihundert Jahre später wieder bei Giorgio Morandi auf, einem italienischen Stilllebenmaler, der ebenso nur Hüllen malte, Flaschen, Vasen, menschengemachte Objekte, in einer zurückhaltenden, oft stumpfen Farbigkeit, die den Maler als Asketen der Moderne in seiner Beschränkung auf einfachste Formen erscheinen lässt.

 Anne Dahm-Puchalla stellt in Sankt Theodor zwei verschiedene Werkgruppen aus, die in jüngster Zeit entstanden sind und sich in gewissem Sinne zwischen diesen Polen von Abundantia und Kargheit bewegen.


 Während einer Ausstellung in der Galerie Kunstraub Anfang 2012 zeigte die Künstlerin vier Stillleben, welche die vier Jahreszeiten widerspiegeln sollten. In zarten pastelligen Farben erschienen weiße Tulpen für den Frühling, Rosen und Kirschen für den Sommer, Astern, Wein und Äpfel für den Herbst, weiße Lilien und leere Gläser im Winterbild. Schon bald empfand die Malerin die Sache als zu gefällig, vielleicht auch als zu üppig, und sie versuchte, die Thematik zu brechen, indem sie Zitate aus Interviews mit Obdachlosen zu den vier Jahreszeiten auf Acrylplatten schrieb und sie auf ihre gemalten Bilder montierte. Die Idylle der Stillleben und die materiellen Geschenke der vier Jahreszeiten, die ja nicht jeder erhält, wurden so mit den ganz anderen, existentielleren Erfahrungen der Berber kontrastiert. Während der Studienrat im Dezember an den adventlichen Kaffee und an das dazugehörige Stillleben aus Printen und Porzellan denken mag, empfindet der Mensch ohne Dach über dem Haupt, den Weihnachtsfrieden als brüchig und muss sein Zelt unter der Brücke mit Teelichtern heizen. In einem zweiten Anlauf, der nun hier gezeigt wird, übermalte Dahm-Puchalla dieselben Leinwände mit einer gestischen Malerei, die wie ein Schleier über den Bildmotiven hängt, aber in Durchbrüchen immer wieder Fragmente der Realität freigibt, Blüten, Früchte, farbige Akzente. So ist eine neue Werkserie entstanden, die sich über die kleinteilige, teils penible Feinmalerei der darunterliegenden Arbeiten hinwegsetzt und den Bildern oft eine andere und vielleicht stringentere Struktur verleiht. Licht bleibt diese Vision der Jahreszeiten jedoch allemal. Die Texte der Obdachlosen können nun und hier- auf Papier gedruckt- mitgenommen werden. Übermalungen sind in der Kunst der Moderne durchaus häufig, so bestehen Werke von Gerhard Richter, die sogenannten Rakelbilder, oft aus 15 bis 20 Farbschichten übereinander, weil der Künstler mit sich selber im Prozess des Schaffens einen Dialog von Vorschlagen und Verwerfen auf der Leinwand ausficht. Diesen muss man Dahm-Puchalla ebenso unterstellen – Übermalungen erscheinen aber auch in der oft religiös inspirierten Malerei des Wiener Malers Arnulf Rainer oder in frühen Arbeiten des amerikanischen Pop-Art-Künstlers Robert Rauschenberg.


 „Ich bin das Gefäß. Gottes ist das Getränk. Und Gott der Dürstende.“

 (Dag Hammarskjöld)


 Eine weitere Gruppe von Arbeiten wiederum stellt nun leere Gefäße vor, in einer kargen, grauen oder braunen Ton-in-Ton-Malerei. Hier steht Dahm-Puchalla in der Tradition Cézannes, Morandis oder letztendlich Zurbaráns, doch bezieht sie sich ebenso – bedingt auch durch ihr familiäres Umfeld – auf die Ästhetik de Wabi – Sabi.


 Wabi – Sabi ist eine Ästhetik des Einfachen, des Abgelebten und des Abgewetzten, die sich aus dem Zen-Buddhismus speist und aus dem Umfeld der japanischen Tee-Zeremonie entstammt. Entstanden im 15. und perfektioniert im 16. Jahrhundert, hat sie mit Understatement ebenso zu tun wie mit dem Gedanken der Endlichkeit menschlichen Lebens. Es gibt hier erstaunliche Berührungspunkte mit zeitgleichen Tendenzen in der europäischen Kultur, gerade in Spanien und in England, später auch in Frankreich. „Dinge gehen entweder ins Nichts über oder entwickeln sich aus dem Nichts“ – diese Allgegenwart von Verfall und Absterben spiegelt sich in den scheinbar unvollkommenen Gefäßen der Tee-Zeremonie, Schalen und Kannen mit Sprüngen und Fehlbränden, die auf das Verwehen alles Irdischen deuten. Auch Dahm-Puchallas Gefäße umfassen das Nichts, ihre Maloberflächen zeigen Schrunden und Zeitspuren – und doch scheinen einige dieser Gefäße von innen zu leuchten. Die Teezeremonie ist in erster Linie eine Feier eines einzigartigen Moments flüchtiger Gemeinsamkeit, der als Moment der Liebe umso kostbarer wird. Ein Kölner Karnevalsverein würde vielleicht gemütvoll singen: „So jung kommen wir nie wieder zusammen ...“ Um es mit Paulus zu sagen: „Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle“. Ohne das Miteinander, das Soziale, den Funken, der überspringt und uns verbindet – blieben wir alle hohle Gefäße.

 ______________________________________________________________________________________________ 


 





 05.05.2011

 Ressort: QS

 

 Von Augenblicken und der Dauer

 

 AUSSTELLUNG Mutter und Sohn präsentieren Malerei und Fotografie im Bezirksrathaus

 

 VON JÜRGEN KISTERS

 

 Lindenthal. Wenn in einer Ausstellung gleichzeitig Malerei und Fotografie gezeigt werden, liegt es nahe, nach "Beziehungen" zu suchen und beide miteinander zu vergleichen. Sich der besonderen Eigenschaften des einen und des anderen Mediums zu vergewissern. Und die Frage aufzuwerfen, wie sie unsere Erfahrung von Wirklichkeit widerspiegeln und vielleicht sogar prägen.

 Diese Möglichkeit bieten die Malerin Anne Dahm-Puchalla und der Fotograf Tobias Dahm derzeit in der VHS-Galerie-Lindenthal. Da es sich um Mutter und Sohn handelt, kommt zusätzlich die Frage auf, ob unterschiedliche Generationen in der Darstellung gleicher Themen und Motive unterschiedliche Medien wählen. So sind die Zeiten, in denen es der Malerei um die realistische Wiedergabe von Gegenständen und Figuren ging - trotz der jüngsten Belebung des malerischen Realismus - lange schon vorbei.

 

 Mit leichter HandDas führt uns Anne Dahm-Puchalla mit ihren Gemälden und Skizzen eindrucksvoll vor Augen. Bereits mit den Impressionisten, insbesondere durch Maler wie Monet, van Gogh und Cezanne, verlagerte sich das malerische Interesse Ende des 19. Jahrhunderts hin zu einer Sichtbarmachung von einzigartigen Wahrnehmungs- und Empfindungsmomenten. Zwar bleibt der Bezug zur gegenständlichen Welt bestehen. Doch jedes Ding, ob Tasse, Tischdecke oder Blumenvase, erweist sich neben seiner Erkennbarkeit als praktisches Alltagsobjekt als Träger von Empfindungen und Träumereien. Mit leichter Hand und zarten Farben taucht Dahm-Puchalla in die malerische Wirklichkeit einer Poesie ein, in der es auf viele kleine Nuancen ankommt. Das sind die Nuancen, die in einer kräftig leuchtenden roten Blüte bereits ihre Vergänglichkeit erkennen lassen. Es sind die Nuancen, die einen Menschen in der Anschauung eines still dastehenden Gefäßes auf sanfte Weise bereits die Regungslosigkeit des Todes erahnen lassen. Diese Erfahrung ist das Thema des klassischen Stilllebens, von der Malerin mit satten Farben schwungvoll in die aktuelle Gegenwartserfahrung gebracht. Viel Weiß ist ihren Farben beigemischt. Und das Weiß sorgt dafür, dass wir ihre Bilder bei aller Melancholie als leicht und versöhnlich erleben.

 

 Kann eine ähnlich existenzielle Erfahrung auch mit der Fotografie zum Ausdruck gebracht werden? Tobias Dahm hält den Schatten des durch die Luft springenden Skaters in einer Schwarz-Weiß-Aufnahme fest. Er zeigt das junge Liebespaar, das im Sonnenuntergang auf einem Felsen steht. Versucht der Fotograf von vorneherein, eine ganz andere Erfahrung im Bild festzuhalten, wenn er auf den Auslöser drückt? Dahms Bilder lassen jedenfalls vermuten, dass es ihm weniger auf eine Darstellung der Vergänglichkeit des Lebens ankommt als darauf, bestimmte Augenblicke der Vergänglichkeit zu entreißen. Er fotografiert die Karussell-Fahrer auf der Kölner Kirmes, um die Faszination an ihrem Rotations-Flug über den gesehenen Moment hinaus in Erinnerung zu behalten. Er zeigt die Himmelsspiegelung in einer Pfütze, um ihre gefühlte Einzigartigkeit über ihre Momenthaftigkeit hinaus zu erhalten.

 

 Der diplomierte Sozialarbeiter und leidenschaftliche Fotograf erweist sich als ein Sammler von Augenblicken, die ihn aus unterschiedlichen Gründen berühren. Weil er darin eine Geschichte erkennt, einen poetischen Hauch oder den Zauber einer formalen Struktur.

 

 Die Fotografie erweist sich für Tobias Dahm als Medium des Augenblicks. Für Anne Dahm-Puchalla ist die Malerei ein Medium der Dauer. So könnte ein erstes vergleichendes Fazit lauten. Doch man ahnt sogleich, dass die Vergänglichkeitsmalerin für den Augenblick malt. Und dass der Augenblicks-Bewahrer das unvermeidliche Gesetz des Vergehens und Verschwindens keineswegs außer Kraft setzen kann.

VHS-Galerie Lindenthal, Aachener Straße 220, Mo-Fr 9-20 Uhr, bis 30. Mai.

 ______________________________________________________________________________________________ 


 ______________________________________________________________________________________________

 © Copyright  Anne Dahm-Puchalla